Inge Jakobs: Vom Leben im geteilten Dorf Böckwitz-Zicherie ("Klein Berlin")

Shownotes

In der ersten Folge des Podcast "Grenzgeschichte(n): Als das Grüne Band noch grau war" spricht Ines Godazgar mit Inge Jakobs über ihr Leben, das immer sehr eng mit der innerdeutschen Grenze verbunden war. Sie wurde 1951 in Böckwitz (Sachsen-Anhalt) geboren und erlebte als Kleinkind die „Aktion Ungeziefer“, bei der ihre Familie zwangsumgesiedelt wurde. Nach der Flucht der Familie aus der DDR, wuchs sie im Nachbarort Zicherie in Niedersachsen auf. - Nur einen Steinwurf entfernt von ihrem Geburtshaus, das dennoch für viele Jahre unerreichbar blieb.

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Grenzmuseum Böckwitz-Zicherie

Das geteilte Dorf Böckwitz-Zicherie Das geteilte Dorf Böckwitz-Zicherie. Foto: Privatarchiv Inge Jakobs

Inge Jakobs am Standort ihres Elternhauses Inge Jakobs auf dem Grundstück ihrer Familie in Böckwitz. Foto: Maike Glöckner

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00:00:00: Wir erleben tief bewegt, dass sich die Berliner Mauer endlich für alle unsere Landsleute öffnet.

00:00:39: Was das Grüne Band noch grau war.

00:00:42: Grenzgeschichten.

00:00:44: Eine Podcastreihe von Ines Kodatska im Auftrag des Landes Heimatbund Sachsen-Anhalt.

00:00:51: Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze, dort, wo früher Stacheldraht und Wachtürme die Freiheit der Menschen beschnitten, verläuft heute das Grüne Band.

00:01:01: Erinnerungsort und nationales Naturmonument gleichermaßen und erstreckt sich allein zwischen den Bundesländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt über dreiehundert-dreiundvierzig Kilometer.

00:01:13: Wer hier mit den Menschen ins Gespräch kommt, muss auch vier Jahrzehnte nach dem Ende der DDR nicht lange suchen, bis er auf Spuren der Teilung stößt.

00:01:22: Die Journalistin Ines Kodatska hat die DDR als Kind und Jugendliche noch erlebt.

00:01:28: Seit vielen Jahren

00:01:29: befasst

00:01:29: sie sich mit der deutschen Teilung.

00:01:32: Sie hat ja auch mein Leben in der DDR geprägt, sagt sie.

00:01:35: Die persönliche Nähe zum Thema sieht sie als Vorteil.

00:01:39: So bekommt sie einen leichteren Zugang zu den Menschen.

00:01:43: Für diesen Podcast hat sie mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus Ost und West gesprochen, über deren Leben an und mit dieser früheren Grenze.

00:01:52: und über eine Grenze, die oft bis heute nachwirkt.

00:01:57: Bei ihren Recherchen ist Ines Kodatska in vielen ehemaligen Grenzgemeinden unterwegs gewesen.

00:02:03: Erste Ergebnisse sind zu einem Buch geworden, das es im Jahr ist.

00:02:10: Im Laufe der Zeit entstand zwischen der Autorin und ihren Gesprächspartner eine emotionale Verbindung, die zu offenen und sehr authentischen Schilderungen beitrug.

00:02:21: Und zu der Idee, mit dem so entstandenen umfangreichen Tonmaterial diese Podcastreihe zu starten.

00:02:30: In dieser Folge, Inge Jakobs über ihr Aufwachsen im einstigen Doppeldorf Böckwitz-Zicheri, über die Zwangsaussiedlung ihrer Familie und über eine Flucht, an deren Ende auch eine Rückkehr steht.

00:02:45: Ja, also die Gaststätte stand direkt an der Grenze und zum Teil auf der Grenze mit den Wirtschaftsgebäuden.

00:02:54: Und da hatte sich unter Fluchtwilligen herumgesprochen, ihr müsst da in Böckwitz in einer Gaststätte einkehren, was trinken, dann geht er zur Toilette, die damals ein Plumsklo war im Stall, und dann geht er durch ein Fenster, und da seid er schon in Westdeutschland.

00:03:13: Das haben viele genutzt, bis es dann natürlich vorbei war.

00:03:18: Hier stand die Schmiede, die Grenze auch direkt da, an das Gartengrundstück da.

00:03:23: Das war dann schon Westdeutschland, hier war Ostdeutschland.

00:03:27: Und da sind auch viele über den Hof geflüchtet oder nur hin und her gegangen.

00:03:36: Bis

00:03:36: wohin droftet ihr zu Grenzen?

00:03:38: Das zeig ich dir gleich.

00:03:40: Das war das letzte Haus an Zicheri vor der Grenze, das auch immer bewohnt war.

00:03:48: Also die Leute haben dann direkt an einer Mauer gelebt?

00:03:51: Ja, die hatten ihren Garten direkt an der Mauer.

00:03:56: Und

00:03:56: dieses eine linke Haus, das war tatsächlich an Berliner vermietet oder verkauft.

00:04:04: Und die sind dann in den Ferien hier nach Zicheri gekommen und haben dann wieder an der Mauer gelebt.

00:04:13: Jetzt sind wir schon direkt an der Grenze.

00:04:16: Hier stand also eine Mauer.

00:04:18: Also, der Schlagbaum, von dem ich vorhin geredet habe, auf die zu dem wir noch gehen konnten, da stand da, wo das

00:04:29: Schildböckwitz ist.

00:04:30: Ja, okay.

00:04:32: Hier war Schluss.

00:04:33: Genau.

00:04:34: Da wurde hier in den Fünfzigerjahren der Stein Deutschland ist unteilbar aufgestellt.

00:04:41: Da habe ich noch als Grundschulkind dann auch gesungen.

00:04:46: Zichere, siebzehnte, sechste, neunzehntehunderte.

00:04:49: Achtundfünfzig, würd ich sagen.

00:04:52: Da war ich sieben Jahre

00:04:53: alt.

00:04:53: Ja.

00:04:54: Ja.

00:04:55: Hier ist sie am siebzehnten Juni dann zum Gedenken an den Aufstand in Berlin jedes Jahr immer eine große Feier abgehalten worden.

00:05:04: Ah, okay.

00:05:05: Dann gab's ja hier auch keinen Verkehr, ne?

00:05:07: Nee, hier war die

00:05:08: Welt zu Ende.

00:05:10: Durch die Kindheitserinnerungen von Inge Jakobs verläuft ein Bruch.

00:05:14: Erteilt ihr Leben, ihre Identität in zwei Hälften, Grund dafür ist ihre Familiengeschichte, die eng mit dem Doppeldorf Böckwitz-Sicherie verbunden ist.

00:05:24: Durch diese beiden winzigen Orte verlief von jeher eine historische Grenze, doch ihre Bewohnerinnen und Bewohner verstanden sich trotzdem stets als Einheit.

00:05:34: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Leben der Menschen in Böckwitz-Sicherie und damit auch das der Familie von Inge Jakobs auf den Kopf gestellt.

00:06:10: Ich treffe Inge Jakobs an einem grauen Wintertag.

00:06:13: Sie ist eine zierliche Frau, die gut reden und gut zuhören kann.

00:06:17: Das Haus, in dem sie mit ihrem Mann Hartmut lebt, liegt in Zicheri, im niedersächsischen Landkreis, gefahren.

00:06:23: Von hier aus erreicht man nach einer halben Autostunde das VW-Werk in Wolfsburg.

00:06:28: Nur ein kurzer Fußmarsch ist das Bisserlandesgrenze von Sachsen-Anhalt.

00:06:33: Hier beginnt die Altmark.

00:06:35: Und hier beginnt auch die Geschichte von Inge Jakobs.

00:06:40: Heute ist der ...

00:06:43: Das muss ich vorlegen.

00:06:44: ... den Gedenktag.

00:06:46: Oh, hilft mir.

00:06:47: Heute vor thirty-five Jahren wurde in Berlin die Stasi-Zentrale gestürmen.

00:06:52: Und da hab ich so gedacht, wie gut, dass dieses Gespenst Stasi beseitigt wurde, damals durch die friedliche Revolution.

00:07:03: Das stimmt.

00:07:03: Weil meinen Eltern im Neunzehnundzweiundfünfzig ist das anders abgelaufen.

00:07:10: Die haben eben auch sehr unter dem Machtmissbrauch der ... DDR-Oberin gelitten ihr Leben lang.

00:07:19: Aber sie hatten nirgendwo ein Kanal, mal ja irgendwo ihre Wut auszudrücken.

00:07:25: Sie haben diese Wut unterdrückt.

00:07:28: Und darum wurde auch über unsere Familiengeschichte wenig gesprochen.

00:07:32: Bevor

00:07:33: wir über eure Familiengeschichte ein bisschen genauer reden, vielleicht kannst du noch mal sagen, wie du heißt und ein bisschen was zum familiären Hintergrund erzählen.

00:07:41: Also mein Name ist Inge Jakobs, geborene Broman.

00:07:45: Ich wurde in August, in Böckwitz, in einem klitzekleinen Dorf in der Altmark, in der jungen DDR geboren.

00:07:57: Meine Eltern betrieben dort, auch meine Großeltern, Urgroßeltern, viele, viele Generationen.

00:08:05: Betrieben dort einen für damalige Verhältnisse relativ großen landwirtschaftlichen Betrieb.

00:08:12: Also ihr seid alt eingesessen gewesen?

00:08:15: Und das war so die Berufung auch für meine Familie.

00:08:21: Mein Vater wollte landfert werden und er hat darauf hingefiebert und er war ja noch keine dreißig Jahre alt.

00:08:29: und Meine Schwester, vier Jahre, da war

00:08:46: er in

00:08:48: der

00:08:53: Böckwitz.

00:08:54: Eine große Landwirtschaft mit einem Guthaus.

00:08:57: Es war ein größeres Bauernhaus.

00:08:59: Es war ein altmerkisches Bauernhaus, die man auch wirklich in anderen Dörfern auch sieht.

00:09:05: Zwei geschoss ich auch.

00:09:07: Man hatte ja damals noch viele Bedienstete auf den Höfen, weil alles Handarbeit war.

00:09:12: Und die mussten ja auch allen Platz haben.

00:09:14: Und das war bei uns auch so.

00:09:15: Die große Küche, die große Bauernküche.

00:09:18: Und alle saßen zusammen an einem Tisch.

00:09:21: Du hattest das vorhin schon angedeutet, dass deine Eltern auch schon sehr früh Probleme mit der damals neuen Regierung in der DDR hatten.

00:09:31: Meine Eltern waren politisch gar nicht aktiv.

00:09:35: Sie waren konservativ ausgerichtet und haben auch Zeitung gelesen.

00:09:43: Aber sie waren niemals selbst aktiv.

00:09:47: Und ... Das fing ja fünfundvierzig nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, als Hitler Deutschland zum Glück von den Siegermächten besiegt worden war.

00:09:58: Ging das ja zwischen Böckwitz und Zicheri erst mal schon politisch in eine Richtung, die meine Eltern ja schon bedrohlich fanden.

00:10:11: Also Zicheri und Böckwitz lagen so mitten in Deutschland.

00:10:17: dass als sich die Siegermächte überlegt hatten, wo sie ihre Besatzungszonen territorial abgrenzen wollten, haben sie alte, ganz alte Grenzen genommen.

00:10:31: Und so auch die Grenze zwischen dem Königreich Hannover und dem Königreich Preußen.

00:10:37: Und die verlief schon immer zwischen Böckwitz und Zicherie.

00:10:42: Aber das war eine Grenze, die keine Rolle spielte.

00:10:45: Die beiden Dörfer, Zicheri und Böckwitz, sind Doppeldörfer.

00:10:51: Es sind wirklich Zwillingsdörfer gewesen.

00:10:55: Die Bebauung ging ineinander über.

00:10:58: Man wusste eigentlich gar nicht, wo Zicheri aufhört und Böckwitz anfängt und umgekehrt.

00:11:03: Man hat also gemeinsam gelebt.

00:11:05: Man hat alles gemeinsam gemacht.

00:11:08: Es gab auch nur eine Schule für beide Dörfer, die in Böckwitz war.

00:11:13: Es gab einen gemeinsamen Schützenverein.

00:11:16: Es wurde Fußball im Verein zusammengespielt.

00:11:19: Und natürlich, man kam ja in der Zeit noch nicht so viel umher, man heiratete untereinander.

00:11:25: Und die ganze Verwandtschaft war hier im Umkreis, sage ich mal, dreißig Kilometer verstreut.

00:11:33: Die Sektorengrenze hat das also quasi von einem Tag auf den anderen verändert?

00:11:39: Ja.

00:11:40: Da kam dann nach Böckwitz hinein die russischen Besatzungssoldaten.

00:11:47: Klar.

00:11:48: Und hier auf Zicheria Seite waren es die britischen Besatzungssoldaten.

00:11:54: Und dann wurde schon mal ein Schlagbaum zwischen Zicherie und Böckwitz errichtet.

00:11:59: Es war nur ein einfacher Holzstamm.

00:12:02: Und die russischen Soldaten lagen bei Böwings unter einem Dach immer direkt an der Grenze.

00:12:14: Wer sind Böwings?

00:12:15: Böwings, das waren die, die eine Schmiede hatten dort direkt mit ihrem Gebäude an und auf der Grenze.

00:12:26: Die mussten dann halt ihre Räume auch zur Verfügung stellen.

00:12:30: Und da hatten sich dann die russischen Soldaten das bequem gemacht, um die neue Grenze zu bewachen.

00:12:38: Es waren ja auch junge Leute, die eigentlich auch nicht wussten, was das sollte.

00:12:44: Ingliakops war noch ein Kleinkinder, als sich für ihre Familie alles änderte.

00:12:49: Im Mai, two-fünfzig organisierten die DDR-Behörden die erste große Zwangsaussiedlung entlang der innerdeutschen Grenze.

00:12:57: Einer der offiziellen Tarnamen, Aktion Ungeziefer.

00:13:03: In den letzten Jahren sollte eine weitere Welle folgen.

00:13:06: Beide Male wurden Listen mit Namen von Menschen erstellt.

00:13:10: die der DDR angeblich feindlich gesonnen waren.

00:13:14: Offizielle Kriterien gab es nicht.

00:13:16: Die Denunziation durch eine Nachbarn konnte ausreichen.

00:13:20: In den Grenzgemeinden gingen die Angst um.

00:13:23: Schätzungen zufolge waren von den Zwangsaussiedlungen insgesamt rund zwölftausend Menschen

00:13:28: betroffen.

00:13:31: Ja, man mussten ganz bisschen politisch gucken.

00:13:33: In two-hundert-zwei-und-fünfzig hatte Josef Stalin.

00:13:38: der Staatsführer von der Sowjetunion, den westlichen Besatzungsmächten und Adenau an Angebot gemacht zur Wiedervereinigung.

00:13:47: Die Westmächte sind nicht darauf eingegangen, weil sie als Bedingung hatten, wenn, ja, gerne, aber dann nur mit freien Wahlen in ganz Deutschland.

00:14:00: Dalin hat für sich dann entschieden, jetzt machen wir die Grenze richtig dicht.

00:14:05: Und dann fing es an mit den Repressalien an der neuen deutsch-deutschen Grenze.

00:14:11: Auf der man sich bis dahin eigentlich, obwohl es einen Grenzzaun schon gab oder eine Barriere eigentlich noch so relativ frei hätte hin und her bewegen können.

00:14:23: Man hat das Ganze noch ein bisschen belächelt vielleicht auch, da dieser Holzbalken mitten im Dorf Und jeder kannte so seinen Schleichweg über die Grüne Wiese.

00:14:34: Aber, fifty-two änderte sich kolossal, im Mai schon etwas, als aus Burgwitz drei Familien abgeholt wurden.

00:14:43: In einer Nacht- und Nebelaktion.

00:14:46: Und man auch nicht wusste, wo die abgeblieben waren.

00:14:51: Und da war natürlich schon die Angst im Dorf, das war Mai fifty-two.

00:14:57: Aber jeder hoffte natürlich, dass der Spuk vielleicht doch zu Ende ist damit.

00:15:04: Und es kam aber auch für meine Familie anders.

00:15:10: Also drei Familien wurden im Mai zwangsausgesiedelt und im Juni kam dann die zweite Aussiedlung.

00:15:16: Da waren vier Familien aus Böckwitz dran.

00:15:20: Und zwar immer auch die großen Eigentümer der Bauernhöfe.

00:15:25: Also, es verlief so am sechsten Juni, two hundred and fifty-two, dass unbekannte Männer in unsere bäuerliche Küche gestürmt sind und mitgeteilt haben, dass wir mittags mit einem Lkw abgeholt werden und dass wir die notwendigsten Sachen, Bett und Tisch und Stuhl packen könnten und wir würden dann abtransportiert.

00:15:59: Und natürlich gab es danach Fragen und Ungläubiges Gucken und ja auch Tränen.

00:16:09: Wohin denn?

00:16:11: Und darauf gab es keine Antwort.

00:16:13: Wohin?

00:16:13: Und gab es eine Antwort darauf?

00:16:16: Warum?

00:16:17: Warum nicht?

00:16:20: Es gab keine Erklärung.

00:16:24: Wir haben später in der Stasi-Zentrale nachgeforscht und da gab es einen Dreizeiler, warum wir auch zwangsausgesiedelt wurden.

00:16:33: Da stand drin äußerst reaktionäre Einstellung zur jungen DDR und solche Sachen in Kurzform.

00:16:45: Das heißt, deine Eltern haben eigentlich nie einen richtigen Grund genannt gekriegt.

00:16:51: sondern wurden vor Ende der Tatsache gestellt.

00:16:55: Vielleicht kannst du mal kurz schildern, wer gehörte zu diesem Arrangement?

00:16:59: Also, bei meiner Familie waren es meine Eltern.

00:17:03: Damals, beide, neunundzwanzig Jahre alt.

00:17:06: Meine Oma, väterlicherseits, die war Anfang sechzig.

00:17:11: Mein Opa war verstorben schon.

00:17:13: Und mein Vater hatte gerade den Betrieb übernommen.

00:17:18: Und natürlich die Bediensteten waren noch da.

00:17:21: Aber unsere Nachbarn, Arrenkens, die hatten auch einen ganz soliden Bauernhof.

00:17:29: Auch die wurden genau am gleichen Tag, wie wir mit ihrem fast erwachsenen Sohn, auch mit uns in einem extra Lkw abtransportiert.

00:17:41: Direkt neben dem Gehüft von Inge Jakobs Familie in Böckwitz lag der Arrenkenshof.

00:17:47: Beide Bauernhäuser standen direkt nebeneinander und waren fast baugleich.

00:17:52: Die Familien kannten sich gut.

00:17:54: Mutter Arenkins war die Patentante von Inge Jakobs Schwester Margarete.

00:17:58: Paul, der damals zwanzigjährige Arenkins Sohn, wurde ebenfalls zwangsausgesiedelt.

00:18:04: Ironie des Schicksals?

00:18:06: Zwar war damit seine Karriere als Landwirt beendet.

00:18:10: Aber?

00:18:11: Er konnte sich nun endlich der Kunst zuwenden.

00:18:14: Später wurde er in der DDR als Schauspieler und Operettensänger berühmt.

00:18:20: Paul Rengkens ist auch in die Landwirtschaft hineingeboren und er wäre auch Landwirt geworden, weil er die Ausbildung schon angefangen hatte.

00:18:29: Aber sein Herz schlug für die Kunst.

00:18:32: Und als dann die Zwangsaussiedlung gewesen war, hat Paul Arendtens diese Chance genutzt und eine Ausbildung zum Schauspieler begonnen und eine musikalische Ausbildung.

00:18:45: Und er war nachher im Metropoltheater mit Festanstellung als Musical Star vielleicht sogar in seiner Zeit.

00:18:58: Und wenn das DDR-Programm ja Sendung übertragen hat mit Paul Arrenkens, meine Eltern haben nie das DDR-Fernseher eingeschaltet.

00:19:08: Aber wenn sich das rumgesprochen hat, dann hieß es immer, Paul kommt heute im Fernsehen und dann saßen wir alle vom Fernsehern haben.

00:19:16: Paul Arendt ist dann gesehen.

00:19:18: Du warst zum Zeitpunkt der Zwangsaussiedlung noch sehr klein.

00:19:22: Trotzdem sind hier diese ganzen Sachen sehr präsent.

00:19:26: Also geredet haben sie natürlich auch darüber vor allen Dingen, wenn sie Besuch hatten, die die ganze Situation selbst auch durchlebt hatten.

00:19:35: Aber somit uns Kindern haben sie ihre Not.

00:19:40: Also nicht ... ins Gespräch gebracht, ihre psychische Not mit ihrem Verlust.

00:19:46: Sie haben immer zu uns gesagt, wir sollten was lernen.

00:19:50: Eine gute Ausbildung, das kann euch keiner nehmen.

00:19:53: Aber Hab und Gut, das kann einem genommen werden.

00:19:57: Obwohl die Eltern mit Inge Jakobs und ihrer Schwester nur selten über die Zwangsaussiedlungen gesprochen haben, so fanden sie dennoch einen Weg, das Unrecht, das ihnen widerfahren war, zu dokumentieren.

00:20:09: und es so auch für ihre Töchter anschaulich zu machen und zu überliefern.

00:20:15: Meine Mutter hat mir, da muss ich so zehn, elf gewesen sein, und meiner Schwester auch, ein Fotoalbum geschenkt.

00:20:24: Und zwar mit Bildern unserer Kindheit.

00:20:26: Sie hat unsere Familiengeschichte aufgeschrieben.

00:20:31: Sehr objektiv und neutral, aber mit vielen, vielen Fakten.

00:20:36: mit den einzelnen Stationen, wie die ganze Zwangsaussiedlung abgelaufen ist.

00:20:42: Und das ist heute natürlich ein ganz wichtiges Zeitdokument.

00:20:46: Kannst du erzählen, was am sechsten Juni, neusezwei in fünfzig, genau passiert ist und wie sich das abgespielt hat?

00:20:51: Also das weiß ich schon sehr genau.

00:20:53: Das ist also seit Kindheitsdagen schon bei mir im Erinnerungsgedächtnis festgemeißelt.

00:21:01: Also es war so, dass Männer ... Fremde Männer bei uns in die Küche kamen und dann uns mitgeteilt haben, dass wir innerhalb von kürzester Zeit abgeholt werden mit LKWs innerhalb von drei, vier Stunden und dass das nötigste eingepackt werden kann.

00:21:21: Und dann gab es keine Antworten auf Fragen, wohin und warum vor allen Dingen auch.

00:21:29: Ja, dann kamen Mittags, kamen sogar zwei LKW auf den Hof gefahren.

00:21:34: Und da mussten wir halt da Platz nehmen.

00:21:39: Und dann wurden die kleinen Habseligkeiten da, die mitgenommen werden konnten, verladen.

00:21:44: Und meine Oma kam in einen extra Lkw.

00:21:47: Die durfte wohl auch ein bisschen mitnehmen, ihre, ihr alten Teil oder irgendwas wie sich das früher nannte.

00:21:53: Und dann ging es auf eine Fahrt, wohin wusste damals keiner.

00:22:01: Dann ging es zu einem ganz entlegenen Bahnhof, gar nicht mal so weit, knapp vierzig Kilometer von Böckwitz entfernt und kamen in Mr.

00:22:12: Horst an.

00:22:13: Da gibt es tatsächlich einen Bahnhof, der sehr, sehr versteckt liegt.

00:22:18: Ja, da wurde dann alles entladen und da sahen dann meine Eltern, meine Oma kamen dann auch dahin, dass da schon viele andere standen.

00:22:27: Achtzig Familien standen da.

00:22:31: genauso traumatisiert wie auch meine Eltern und Oma.

00:22:36: Und ja, es gab immer noch keine Erklärung, warum sie da stehen mussten.

00:22:42: Alle waren ratlos.

00:22:44: Und dann kam ein Sonderzug angefahren.

00:22:49: Und in diesem Sonderzug mussten alle steigen.

00:22:54: Auch das Mobiljahr wurde da in Güterwagen verladen.

00:22:58: Und die Fahrt los, dann ging es schon in den Abend, in die Nacht hinein und dann Vorbahn und Vorbahn und keiner wusste wohin.

00:23:08: Und dann breitete sich Panik aus, weil dann so sich ein Gerücht verbreitete, dass es nach Sibirien geht.

00:23:19: Und das war wohl eine ganz, ganz kritische Situation, weil ... Da hatte, das hat meine Mutter mal erzählt, da hatte sie für sich entschieden, das macht sie nicht mit.

00:23:33: Sie sind halt alle alleine gewesen mit ihrem ganz großen Trauma.

00:23:38: Und der Zug fuhr und fuhr.

00:23:41: Dann hielt der Zug in Nord Sachsen.

00:23:47: Und dort mussten alle Familien aussteigen.

00:23:52: Und wurden dann verteilt auf ... Familien in den umliegenden Dörfern und Städten.

00:24:03: Diese Familien mussten diese entwurzelten Menschen aufnehmen.

00:24:08: Die waren natürlich auch nicht gefragt worden, ob sie da Lust drauf hätten.

00:24:12: Jedenfalls kriegten wir die Zuweisung Bad Düben bei einer Familie Söllner.

00:24:20: Und da ging es dorthin.

00:24:24: Und dann waren wir halt zu fünft bei der Familie Söllner plötzlich.

00:24:29: Was hat man dieser Familie erzählt, wer ihr seid, wer ihr

00:24:32: kommt?

00:24:32: Das waren natürlich dann auch, dass wir Kriminelle sein, die aus dem Grenzgebiet entfernt werden müssten, um den Staat sicherzumachen.

00:24:46: Was

00:24:46: habt ihr bei der Familie vorgefunden?

00:24:48: Ja, da habe ich auch leider zu wenig gefragt.

00:24:51: Ich weiß nur, dass wir im oberen Geschoss wohl Zweizimmer hatten, vermutlich.

00:24:57: Und mein Vater kriegte dann gleich den Auftrag, in Bitterfeld im Chemiekombinat zu arbeiten.

00:25:07: Der musste also gleich antreten zur Arbeit.

00:25:11: Und das hat er natürlich gemacht.

00:25:14: Die Familie Söllner muss sich irgendwie um meine Familie gekümmert haben.

00:25:20: Jedenfalls haben sie dort keine Not gelitten.

00:25:25: Das muss man ehrlich sagen.

00:25:27: Auch

00:25:27: ein großes Glück.

00:25:28: Ein großes Glück für uns.

00:25:29: Denn da gab es ganz andere Beispiele, die ich auch kenne, wo die Familien quasi in irgendwelchen Stellen untergebracht wurden.

00:25:41: Oder Futterküche nannte man das früher, äußerst primitiv natürlich.

00:25:46: Die Eltern von Inge Jakobs standen unter einem enormen psychischen Druck.

00:25:50: Einerseits waren sie selbst unter Schock und Ohnmächtig angesichts der staatlichen Willkür, der sie ausgesetzt waren, Heimat und besitzlos geworden, mussten sie zugleich versuchen, für ihre Kinder eine Art Alltag aufrecht zu erhalten.

00:26:05: Der Vater Heinrich Broman war es als Landwirt gewohnt, selbstbestimmt zu arbeiten und große Teile des Tages an frischer Luft tätig zu sein.

00:26:14: Auch deshalb wird er stark unter der Arbeit im Chemiekombinat Bitterfeld.

00:26:20: Das muss eine unheimliche psychische und physische Belastung gewesen sein.

00:26:26: Jedenfalls hat er einen derart starken Hautausschlag gekriegt, dass er wirklich nicht arbeiten konnte und dann sowas wie eine Krankschreibung wohl hatte.

00:26:36: Und das war für meine Eltern dann der Anlass ... Ja, eine Entscheidung zu treffen, eine sehr weitreichende Entscheidung, von der sie nicht wussten, wie das Ganze enden würde.

00:26:53: Es war die Entscheidung, die DDR zu verlassen.

00:26:57: Getarnt als Familienausflug setzten sich die Bromans im August, twondundfünfzig mit ihren beiden Kindern in Ostberlin in eine S-Bahn, die in einen der Westsektoren fuhr.

00:27:09: Damit die Tarnung nicht auffiel, mussten sie die Oma in Nord Sachsen zurücklassen.

00:27:14: Eine schwere Entscheidung.

00:27:16: Dann standen sie in Westberlin mit einem Handtischchen und zwei kleinen Kindern und keinem Geld und keinem Papieren.

00:27:23: Aber es ging vielen damals so.

00:27:25: Es kamen sehr, sehr, sehr viele Menschen in Westberlin an, die alle geflüchtet waren.

00:27:31: Dann hieß es ja, Herr Bromann, Sie gehen ... nach Nordrhein-Westfalen mit ihrer Familie.

00:27:37: Da werden im Bergbau Arbeiter gebraucht und da gibt es Wohnraum und da können sie sich ansiedeln.

00:27:46: Ja, da brach wieder eine kleine Welt, eine große Welt zusammen.

00:27:50: Da wollten sie auch nicht hin.

00:27:52: Sie hatten so ein starkes Heimatgefühl, sie wollten zurück.

00:27:57: Und das war erst mal sicherlich, weil sie wussten, dass der Onkel meiner Mutter dort lebte.

00:28:03: Und dann haben sie tatsächlich vom Zicheria Bürgermeister eine Bürgschaft angefordert.

00:28:09: Und der Zicheria Bürgermeister hat ihnen eine Bürgschaft ausgestellt, dass es für meinen Vater hier Arbeit gäbe.

00:28:17: Und dann haben sie dieses Dokument dahingelegt und haben nicht mehr gewartet, sind einfach abgereist nach Zicheria.

00:28:24: Das heißt, Sie haben ... Zicherie vermutlich auch gewählt, weil sie damit Böckwitz und ihre alten Heimat ihrem Haus zumindest optisch näher kommen konnten, weil sie es ja sehen konnten aus Zicherie.

00:28:38: Sie konnten es fast sehen.

00:28:40: Ich hab ja vorhin erzählt, es ist ein Zwillingsdorf, es war alles so nah.

00:28:45: Und vor allen Dingen war ihn Zicherie absolut vertraut durch die Zeit.

00:28:52: Und ... Sie haben auch ehrlich gesagt da noch nicht geglaubt, dass das mit der DDR lange gehen wird.

00:29:01: Sie haben also damals nicht geahnt, für wie lange Sie eigentlich von Ihrem Haus und Ihrer vertrauten Umgebung in Böckwitz getrennt sein werden.

00:29:11: Überhaupt nicht.

00:29:12: Das haben Sie so nicht vermutet.

00:29:15: Die ersten Jahre in der freien Welt waren schwer für die Bromans.

00:29:18: Zwar erhielten sie in sichere Hilfe von Verwandten, die bereits dort lebten.

00:29:23: Aber mehr als ein Zimmer für vier Personen war anfangs nicht möglich.

00:29:27: Der kleine Ort war vollkommen überfüllt.

00:29:31: Es waren ja die ganzen Flüchtlinge, Ostflüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg noch hier im Ort.

00:29:36: Zichri hatte, weiß ich, hundertfünfzig Einwohner, aber zu der Zeit über vierhundert.

00:29:42: Es war alles vollgestopft mit Menschen.

00:29:47: Aber der Onkel hat uns dann aufgenommen und ... Mein Vater hat dann erst mal bei seiner Schwester auf dem Bauernhof für ein Stück Butter und ein bisschen Brot gearbeitet.

00:30:02: Denn Geld hatten die auch alle nicht, dass die großen Mitarbeiter einstellen konnten.

00:30:07: Aber es reichte zum Überleben irgendwie.

00:30:10: Wir waren ein Jahr da bei diesem Onkel in diesem Zimmer.

00:30:14: Dann sind wir innerhalb von Zicherie umgezogen zu... Also nicht verwandten, die dann zwei Zimmer uns anbieten konnten.

00:30:23: Das war dann schon mal Luxus.

00:30:25: Und dann hatten die Bromans einfach Glück.

00:30:31: Und zwar kriegten wir aus dem Land Schweden ein Schwedenhaus geschenkt.

00:30:37: Das musst du erklären.

00:30:38: Ja, das versteht, das ist für mich so selbstverständlich.

00:30:41: Es gibt in Siciri drei Schwedenhäuser.

00:30:44: Und das ist hier im Sprach gebrauchen, ganz normales Wort.

00:30:52: das Schweden etliche Häuser gespendet hat an Flüchtlinge aus der DDR, die solcher ein Schicksal hatten.

00:31:02: Und diese so wie wir, wir mussten nur ein Grundstück vorweisen und den Keller zu dem Haus mauern lassen.

00:31:13: Aber das Haus selber, das ist ein Holzhaus gewesen, das kam aus Schweden angereist.

00:31:19: Ein ganz süßes, kleines Haus, ca.

00:31:22: hundert Quadratmeter.

00:31:26: In den letzten Monaten und Jahren wurde das Haus voller.

00:31:37: Aber meine Oma Bertha, also die Mutter meines Vaters, die wir in Bad Dümen bei Frau Söllner zurücklassen mussten, Die kam nach, als wir unser Schwedenhaus hatten.

00:31:53: Sie war ja Rentnerin, kam legal dann mit ihren paar Möbeln, die sich ja auch mitnehmen konnte, mit ihrem sogenannten Altenteil.

00:32:01: Und dann war sie natürlich auch bei uns im Schwedenhaus, hat richtig ihr eigenes Zimmer.

00:32:06: Dann gab es noch ein ganz kleines Kämmerchen, ja, so ein halbes Zimmer vielleicht.

00:32:12: Das wurde auch noch belegt, weil meine Oma mütterlicherseits.

00:32:18: Die lebte ja in Jahrestädt und die musste ja auch ihren kleinen Hof abgeben, wurde auch kollektiviert und sie hatte niemanden mehr.

00:32:30: Das war jetzt schon in den Sechzehnten.

00:32:33: Und dann hörte sie, dass in Berlin die Mauer gebaut wird.

00:32:37: Sie setzt alles auf eine Karte.

00:32:39: Sie flüchtet über die Grenze, die damals schon sehr gesichert war.

00:32:46: Und sie kannte sich im Drömling bestens aus.

00:32:50: Sie hat nur ihren Cousin eingeweiht, mit dem sie dann Richtung Drömling gefahren ist.

00:32:56: Und sie hatten sich auch so überlegt, wenn sie kontrolliert würden.

00:33:02: Damals waren ja schon die deutschen Grenzsoldaten da an der Grenze, dass sie sagen, sie wollten die Weide reparieren oder mal gucken, was da gemacht werden muss.

00:33:12: Und dann hat der Cousin sie bis tief in den Drömlink hinein, weit hinter Kaiserwinkel noch.

00:33:19: Das ist also wirklich schon mystisches Gebiet.

00:33:22: Also da möchte man abends nicht alleine sein.

00:33:27: Aber sie musste ja dann den letzten Rest alleine bewältigen.

00:33:32: Dann ist sie auf dem Bauch robbend Richtung Grenzzaun gekrochen quasi.

00:33:40: Weil sie wusste nicht genau, wann die Patrouillen da lang gingen.

00:33:45: Und vor allen Dingen hatte sie Angst vor den Grenzhunden.

00:33:49: Weil die Hunde liefen dann, wurden dann freigelassen.

00:33:52: Und das war auch ihre große Angst, dass sie erschossen wird.

00:33:55: Das hatte sie einkalkuliert, aber so mit den Hunden, das hat sie mir auch mal erzählt, das fand sie ganz furchtbar.

00:34:04: Sie ist aber dann unbeschadet über die Grenze gekommen.

00:34:10: Und war dann auch verwirrt, war durch diesen ganzen Stress und ist dann in den Kaiserwinkel in der Kneipe irgendwann angekommen.

00:34:18: Und da hat der Bundesgrenzschutz sie aufgegabelt.

00:34:22: Und die haben sich dann erst mal beruhigt.

00:34:23: Jedenfalls stand Oma im Oktober, Nineteinundsechzig, dann auch vor unserer Tür.

00:34:30: Sie stand dann da und dann hat Oma das ganz kleine Zimmerchen gekriegt.

00:34:35: Und dann war das Haus ... rappelvoll, aber gemütlich.

00:34:39: Du sachtest mal, dass deine Eltern hier ein Freundeskreis hatten, der aber sich zum Teil auch aus Flüchtlingen speiste.

00:34:45: Das heißt also, die Nähe, die man vielleicht dazu gespürt hat, dass Leute eine Schicksalsverwandtschaft hatten, das gab es.

00:34:53: Ja, natürlich.

00:34:54: Ich hatte ja vorhin schon mal die Schmiede Böwing erwähnt, die ja direkt an und auf der Grenze stand mit den Gebäuden, die dann auch natürlich gleich Zwangs ausgesiedelt wurden.

00:35:06: oder auch die Gaswirtschaft, die auch direkt an und auf der Grenze stand.

00:35:13: Diese Familie, die waren in der gleichen Situation, auch jung und zwei kleine Kinder, die wurden natürlich auch zwangsausgesiedelt.

00:35:21: Und die lebten dann auch hier?

00:35:22: Ja, jeder hat natürlich eine eigene Geschichte.

00:35:26: Aber dieser Schmied, der war dann auch in Zicherie.

00:35:29: Und das war der beste Freund meines Vaters.

00:35:32: Der hat dann seine Schmiede hier in Zicherie wieder aufgebaut.

00:35:36: aufbauen können, muss man sagen, weil die Zicheria ihm geholfen haben, seine ganze Schmiederausrüstung noch im letzten Moment in den Westen zu schmuggeln.

00:35:47: Und dann hat dieser Walter Böwing hier in Zicheria sich eine neue Schmiede aufgebaut.

00:35:52: Und das, würde ich mal sagen, war die Psychotherapiestätte für die Männer, die alle dieses so erlitten haben.

00:35:59: Die haben sich da oft getroffen und haben über ihr Schicksal auch gesprochen.

00:36:03: In der Schmiede?

00:36:03: In der Schmiede, ja.

00:36:05: Und das hat ihm sicherlich Halt gegeben, weil es doch viele waren.

00:36:10: Also, er hat einen kleinen Rahmen schon, aber es waren ja doch hier in Zicheri war es ja eine Schicksalsgemeinschaft, die das auch verstanden haben, was die Einzelnen so durchgemacht

00:36:20: haben.

00:36:21: Das heißt, man war sich da untereinander nah.

00:36:23: Ja, das kann man sagen.

00:36:25: Inge Jakobs und ihre Schwester sind in Zicheri direkt an und mit der innerdeutschen Grenze aufgewachsen.

00:36:31: Fast hätten sie den älterlichen Hof in Böckwitz sehen können.

00:36:35: Welche Rolle spielte die Grenze im Alltag für die Kinder im Ort?

00:36:40: Für Grenze wurde immer gepilgert.

00:36:42: Auch am Sonntag bin ich mit meiner Freundin hier aus Zicheri zur Grenze.

00:36:46: Aber es war eine entspannte Situation für uns.

00:36:50: Wir haben uns dann da auf den Schlagbaum gesetzt, hier weit genug von der Grenze entfernt.

00:36:56: haben dann rübergewunken zu den Phopos und so.

00:36:59: Und dann fanden wir es schon interessant, wenn die mal zurückgewunken haben.

00:37:02: Das war dann die Sensation.

00:37:04: Die durften ja keinen Kontakt zu uns aufnehmen.

00:37:07: Aber sie waren ja ziemlich dicht dran und es war immer sehr viel Besucherverkehr an der Grenze und hier in dem Ort.

00:37:17: Wir waren ja abgeschnitten in östlicher Richtung.

00:37:20: Und da war Sonntags wirklich auch immer ein bisschen was los.

00:37:23: Da kamen die Touristen, haben sich Grenze angeguckt.

00:37:27: Und da sind wir auch Sonntags oft hingegangen und haben da geguckt, was da so los war.

00:37:33: Und wie weit durften die Zicherior an?

00:37:35: die alte Staatsgabe?

00:37:36: Ja, ziemlich

00:37:37: dicht dran.

00:37:38: Ich sag mal, fünf Meter vom Stacheldraht entfernt war ein Schlagbaum von Westdeutscher Seite vom Bundesgrenzschutz.

00:37:50: aufgebaut, so eine Holzkonstruktion.

00:37:55: Und da konnte man sie schön oben draufsetzen, für Kinder.

00:37:59: War rot-weiß angestrichen.

00:38:01: Und da durfte ihr auch hin?

00:38:02: Da durften wir noch hin.

00:38:03: Man durfte aber dann nicht weiter.

00:38:06: Und das wussten wir als Kind.

00:38:08: Da hatten wir auch großen Respekt.

00:38:10: Das war uns eingeimpft worden, dass wir nicht so aus Übermut ... Richtung Kaiserwinke.

00:38:17: zum Beispiel gab es lange nur einen Graben und den Todesstreifen.

00:38:22: Dass eben die ganze Grenze hermetisch mit Zäunen abgeriegelt war, das kam dann erst später.

00:38:29: Das haben wir ja nicht gemacht, weil ich auch wusste, dass da schon mal ein Journalist in Zicherie erschossen wurde an der Grenze.

00:38:37: Der damals neunundvierzigjährige Journalist Kurt Lichtenstein war Redakteur bei der Westfälischen Rundschau.

00:38:43: Seine Redaktion hatte ihn beauftragt, eine Reportage über die innerdeutsche Grenze zu schreiben.

00:38:48: Als er am zwölften Oktober nineteenundsechzig in seinem Auto die Gemeinde Zicheri erreichte, versuchte er am Feldrand mit ostdeutschen Landarbeiter ins Gespräch zu kommen.

00:38:59: Dabei geriet er auf DDR-Gebiet und wurde von zwei Grenzsoldaten erschossen.

00:39:06: Die Schützen waren achtzehn und neunzehn

00:39:09: Jahre alt.

00:39:11: Da hieß es nur, ihr bleibt zu Hause heute bei meinen Eltern.

00:39:17: Ihr geht da nicht hin, da ist jemand an der Grenze erschossen worden.

00:39:21: Das wussten sie und da wollte ich da auch nicht hin.

00:39:24: Also das war dann, ja.

00:39:27: Ich hatte auch vorher schon mal gehört, dass der Kühe auf den Minen explodiert worden waren, hier aus Westdeutschland, die dann mal ausgebrochen waren und dann einfach rüber gelaufen waren auf den Minenstreifen und dann, weiß ich, fünf Kühe zerfetzt worden.

00:39:47: Das waren für mich das gruselige Bilder und das wollte ich auch gar nicht sehen.

00:39:52: Binge Jacobs besuchte die Realschule im nahegelegenen Ort Wittingen und studierte später in Braunschweig Leeramt.

00:40:00: Bis zu ihrer Pensionierung war sie als Lehrerin tätig.

00:40:03: In ihrem Berufsleben hat sie gelegentlich versucht, über das Unrecht der Zwangsaussiedlungen zu sprechen.

00:40:10: Ich habe da schon auch mal versucht, darüber zu sprechen, warum ich in der DDR geboren wurde und aber in Zicherie aufgewachsen bin.

00:40:21: Das wussten die dann natürlich.

00:40:23: Und dann habe ich das mal versucht zu erzählen mit der Zwangsaussiedlung.

00:40:29: Ja, es gab kaum eine Rückfrage so nach der Worte.

00:40:34: Also so, ja, wirklich, haben wir noch gar nichts von gehört.

00:40:38: Aber es hat sich niemand echt dafür interessiert.

00:40:42: Du sagst, es ist eventuell in erster Linie die Schuld derjenigen, die betroffen waren.

00:40:46: Wie meinst du das?

00:40:49: Ja, die Betroffenen selber, so ich sag mal, meine Elterngeneration, die waren so traumatisiert, die wollten auch aus ihrer Opferrolle raus.

00:40:58: Und darum haben sie wenig erzählt nach außen hin.

00:41:02: Als wir uns das allererste mal getroffen haben, da hast du deine Geschichte ja auch zum ersten Mal erzählt.

00:41:07: Und ich erinnere mich, dass du auch sehr berührt warst.

00:41:10: Du hast auch geweint.

00:41:13: Und du hast mir schon den Eindruck vermittelt, als ob dich das alles auch sehr anfasst.

00:41:20: Kannst du das mal ein bisschen erklären, warum?

00:41:25: dass für dich trotzdem einen emotionalen

00:41:28: Bezug.

00:41:29: Ja.

00:41:31: Also, das liegt in erster Linie daran, dass ich selber es nicht gelernt hatte, über unsere familiäre Situation, warum wir in Zecheri sind, zu sprechen.

00:41:43: Ich hab das genauso verdrängt wie meine Eltern.

00:41:46: Und es war auch immer mal Thema, aber es stand nicht oben an.

00:41:51: Wie

00:41:51: viele Menschen in ihrer Generation kann Inge Jakobs noch genau die Gefühle, Gedanken und Stimmungen innerlich abrufen, die sie im November, neunzehnundachtzig am Tag der Grenzöffnung empfunden hat.

00:42:04: Auch ihre Eltern Heinrich und Margarethe Broman haben diesen Tag noch erlebt.

00:42:10: Ja, es war unglaublich und Freude natürlich und auch zum Gespanntsein vor allen Dingen.

00:42:15: Was kommt jetzt auf uns zu?

00:42:17: Wie war das für deine Eltern?

00:42:18: Die

00:42:19: haben auch so ähnlich empfunden.

00:42:21: Also es war jetzt nicht gleich so diese Euphorie, sondern mein Vater war, glaube ich, sehr innerlich gespannt und aufgewürzt und es kam alles zusammen.

00:42:33: Ja, und dann kam der Tag der Achzehnte, dass hier in Zicherie Böckwitz die Grenze geöffnet wurde.

00:42:39: Da wurde schon immer gerufen, macht die Grenze auf, macht die Grenze auf.

00:42:44: Und da ging es aber noch nicht, weil ja es gab gar keine Straßenverbindung mehr.

00:42:49: Es war alles weg.

00:42:50: Und jedenfalls tatsächlich am achzehnten doch so ein Korridor auf, dass die Menschen aus Böckwitz für eine Stunde ... Mal nach Zicheri durften.

00:43:06: Man hat sich in den Argen gelegen, begrüßt.

00:43:10: Es war aber nicht so diese große Feierstimmung.

00:43:15: Es war unglaublich.

00:43:17: Alle waren noch so unter Schock nach dem Motto, das kann noch nicht real sein.

00:43:22: Frühmorgens gab es die Möglichkeit, die Grenze offiziell zu überqueren.

00:43:29: Das war aber noch mit den ganzen Formalitäten.

00:43:32: Man brauchte noch immer ein Visum, man musste noch den Zwangsumtausch leisten.

00:43:37: Also man musste die Dokumente bei Sammen haben.

00:43:39: Reisepass, glaube ich, brauchte man auch.

00:43:41: Und somit waren wir dann morgens die Erst und sind dann auch schweigend durchs Dorf gegangen.

00:43:48: Wir waren alle irgendwie überfordert mit der Situation.

00:43:52: Ja, wir sind dann zu unserem Hof gekommen, und da hab ich nur gedacht, mein Gott, wenn das Papa sieht hier, diese riesen Kloake mit dem riesigen Misthaufen, mitten auf dem Hof.

00:44:03: Unser Wohnhaus war abgerissen, in die Dächer kaputt.

00:44:09: Es war irgendwie schrecklich.

00:44:12: So ein Blick war ich gar nicht gewöhnt.

00:44:15: Und dann sind wir noch zum Konsum marschiert, der hatte schon geöffnet.

00:44:20: Und dann haben wir da eine Flasche Sekt gekauft, Rotkäppchensekt.

00:44:27: Und noch zwei Flaschen Milch, diese typischen DDR-Flaschen, die wieder befüllbar waren.

00:44:35: Die haben wir gekauft von unserem Zwangsumtausch.

00:44:37: Und die haben wir dann als Beweis mit rübergenommen.

00:44:41: Wo sind die Milchflaschen heute?

00:44:43: Die haben wir natürlich sehr gut aufgehoben in unserem Schatzkästchen im Keller.

00:44:49: Da stehen so ein paar Relikte und da stehen auch diese Milchflaschen noch.

00:44:54: Und die werden wir auch aufbewahren, weil das eigentlich so ein Symbol ist, dass es dann doch sich zum Guten gewendet hat.

00:45:02: Für Heinrich Bromann, den Vater von Inge Jakobs, war der erste Spaziergang zu seinem ehemaligen Hof ein Schock.

00:45:11: Ich weiß nur, dass mein Vater da geweint hat, als er da stand.

00:45:15: Es war einfach alles kaputt, alles, woran er mal geglaubt hat.

00:45:20: Was die ganze Familie aber auch mühsam in Generation so aufgebaut hat.

00:45:25: Aber sie hatten so einen gewissen Wohlstand, sich schon erarbeitete Größe des Hofes.

00:45:31: Aber es war jetzt eben nicht so, dass das ihnen alles in Schoß gefallen ist.

00:45:36: Wusstet

00:45:37: ihr, dass das Wohnhaus abgerissen war?

00:45:39: Das wussten wir.

00:45:41: Weil wir ja Kontakt mit den Cousins noch hatten oder meine Eltern hatten den Kontakt.

00:45:47: Und da haben wir ja später dann auch erfahren, dass der eine Cousin, der bei den Abrissarbeiten helfen musste von der LPG aus, dass der dann so einen Hausstein von unserem Haus gerettet hat.

00:46:03: Das war so ein Stein, in dem die Namen der Bauherren des Bauherren Heinrich Bromann mit seiner Ehefrau Wilhelmine und dann Daten noch graviert waren.

00:46:17: und ein bisschen verziert der Stein, so ein Sandstein eigentlich ganz schön.

00:46:23: Der hing über dem Haupteingang über der Haupteingangstür und den hat er gerettet und den hat er uns nach der Wende.

00:46:33: Nach dem Fall der innerdeutschen Grenze erhielt Familie Bromann einen Teil ihrer Hofflächen in Böckwitz zurück und auch der gerettete Hausstein, wurde später einer neuen Bestimmung übergeben.

00:46:45: Und dann haben wir natürlich irgendwann überlegt, was machen wir dann alles nun mit dieser großen Hoffläche?

00:46:53: Und dann haben mein Mann und ich uns entschieden, dass wir aus diesen leerstehenden Stallgebäuden Wohnungen bauen, sozialen Wohnungsbau betreiben, in kleinem Stil natürlich.

00:47:07: Aber dann kam irgendwann unsere Tochter, Anfang der neunziger Jahre, die hatte da schon Freund, die hat gesagt, wenn die eine Wohnung liegt da ja noch brach rum, dann würde ich mit Nico gern einziehen.

00:47:19: Wir bauen uns das selber zurecht.

00:47:22: Und so ist unsere Tochter erst mal freiwillig da eingezogen.

00:47:25: Das heißt, sie ist von Niedersachsen nach Sachsen-Einheit

00:47:28: gezogen?

00:47:28: Genau.

00:47:29: Und dann wollten sie ganz bewusst sich in Böckwitz ansiedeln.

00:47:33: Ja, dann kam es noch.

00:47:35: Da war dann noch eine Wohnung, die noch nicht ausgebaut war.

00:47:39: Da hat dann unser Sohn gesagt, er geht dahin.

00:47:42: Der hätte auch von seiner Arbeit aus weltweit irgendwo arbeiten können.

00:47:46: Aber er hat sich auch dafür entschieden, sich in Böckwitz anzusiedeln.

00:47:50: Und unsere Tochter hat mit ihrem Mann noch ein neues Haus mitten auf der Hoffläche gebaut.

00:47:56: Und der Hausstein?

00:47:58: Der Hausstein steht davor irgendwo, der ist eingemauert.

00:48:03: Den kann man von der Straße aus gut einsehen.

00:48:07: Das ist ja eigentlich eine schöne Wendung des Schicksals, dass deine Kinder, die in Zicherie aufgewachsen sind, jetzt wieder in Böckwitz leben und du ja von Böckwitz nach Zicherie gelangt bist durch die Flucht.

00:48:22: Da schließt sich in gewisser Weise ja auch irgendwie ein Kreis.

00:48:26: Ja, das stimmt.

00:48:28: Der Kreis hat sich geschlossen und das ist so.

00:48:30: Und das haben halt meine Eltern auch noch miterlebt.

00:48:34: Und die haben dann auch immer so das Positive dann aus ihrer Familiengeschichte, Familien-Tragödie.

00:48:41: Aber sie haben daraus dann eine Geschichte geschrieben, würde ich sagen, mit gutem Ausgang.

00:48:46: Sie haben auch noch erlebt, dass der erste Urenkel da geboren wurde.

00:48:49: Und sie haben das im Kopf so regeln können, dass das jetzt aber ... jetzt sich zum Guten gewendet hat und haben dann nicht gehardert mit ihrem Schicksal mehr.

00:49:01: Jedenfalls nicht öffentlich oder dass man spüren konnte.

00:49:04: Nein, sie waren sehr stolz, weil das ein sehr schönes neues Haus geworden ist.

00:49:10: Und das war dann nur noch einmal ein bisschen kritisch, als wir aus dem Stall diese Wohnung bauen wollten.

00:49:17: Das hat mein Vater zuerst nicht gefallen, weil das war wirklich dann das ganze Ende des Bauernhofs.

00:49:24: Aber nun war die Geschichte für ihn auch auserzählt.

00:49:29: Und ich denke, mal sind beide sehr am Frieden gegangen damit, so wie es ist.

00:49:33: Wann sind deine Eltern verstorben?

00:49:35: Ja, mein Vater ist im Jahr zwei Tausend Sechs.

00:49:37: Also hat noch lange und meine Mutter ist zwei Tausend Zehn.

00:49:42: Die haben also ... Und hatten auch viel ihre alten Kontakte in Böckwitz wieder sehr belebt.

00:49:49: Und die haben sich gegenseitig eingeladen.

00:49:53: Die haben wirklich gleich angeknüpft an die Zeit vor der Teilung.

00:49:59: Da war das überhaupt kein Problem.

00:50:02: Wie schätzt du das heute ein zwischen Böckwitz und Sicherie?

00:50:06: Ist es da wieder so eine die alte Einheit, wie sie deinen Vater noch kennengelernt hat?

00:50:10: Würdest du sagen, ist das wieder weitestgehend so oder ...

00:50:16: Also das wird sich wahrscheinlich diese Einheit, die unsere Eltern gekannt haben, die wird es nie mehr geben.

00:50:21: Das ist klar, weil das der Wandel der Zeit auch ist.

00:50:24: Das gibt es ja hier in den Dörfern auch so.

00:50:27: Es sind inzwischen auch überwiegend Schlafdörfer, die gehen alle ihrer Arbeit nach und die Kinder sind in der Ganztagsschule.

00:50:37: Da findet nicht mehr so viel Dorfleben statt, wie das noch zur Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war.

00:50:46: gute Verbindung, es gibt auch kleine Freundschaften und es gibt keine offenen Konflikte und man begegnet sich überwiegend freundlich, aber sehr noch mit angezogene Handbremse, würde ich sagen.

00:51:08: Das wird in dieser Generation noch schwierig sein.

00:51:12: dass man zu allen so ein ganz offenes Verhältnis bekommt.

00:51:16: In der nächsten Generation von unseren Kindern ist das schon wieder anders.

00:51:21: Aber wir sind einfach zu unterschiedlich aufgewachsen.

00:51:29: Nach den Zwangsaussiedlungen in Böckwitz stellte sich irgendwann auch die Frage nach der Verantwortung für das, was geschehen war.

00:51:36: Wer hatte die Familien damals denunziert?

00:51:39: Wie waren ausgerechnet ihre Namen auf die Listen gekommen?

00:51:43: Man weiß natürlich, wer damals als diese Zwangsaussiedlung anstand, wer da zu den Entscheidungsträgern mitgehörte.

00:51:53: Es gab ja immer irgendwelche Leute, die gesagt haben, sag mal, wer hat den größten Hof, wer muss hier weg und wer schwimmt überhaupt nicht auf unserer Linie und so weiter.

00:52:03: Das war schon schnell ausgemacht, sag ich mal.

00:52:07: Nach vierzig Jahren leben die Menschen ja gar nicht mehr.

00:52:11: und jetzt den nicht nachfolgenden Generationen alles anzulasten.

00:52:15: Das haben meine Eltern nicht gemacht und das mache ich auch nicht.

00:52:21: Also wir begrüßen uns, wir begegnen uns irgendwie mal zufällig, aber das ist da nun Gerade so mit den Menschen, die aus diesen Familien, die damals Entscheidungsträger waren, stammen, da kenne ich keine richtige Freundschaft oder so.

00:52:46: Die sind eben sehr zurückgezogen heute.

00:52:48: Das,

00:52:49: was Familien wie die von Inge Jakobs während der deutschen Teilung erlebt haben, wird heute auf dem ehemaligen Schüttehof in Böckwitz dokumentiert.

00:52:58: Der einstige Besitzer Willi Schütte hatte sich nach dem Zusammenbruch der DDR entschieden aus einem früheren Hof in Böckwitz ein Museum zu machen.

00:53:06: Heute engagieren sich dort Bürgerinnen und Bürger aus beiden Ortsteilen ehrenamtlich.

00:53:12: Auch für Inge Jakobs ist das zu Herzensangelegenheit geworden.

00:53:16: Also ich zum Beispiel und auch andere.

00:53:20: Wir treten als Zeitzeugen auf und führen auch oft Gruppen.

00:53:27: Also das wird immer mehr nachgefragt, statt weniger.

00:53:31: Und ja, das war so meine Motivation und ich hatte vorher ja über meine Familiengeschichte noch gar nicht öffentlich erzählt.

00:53:44: Ich wollte es nicht, aber ich wollte es nicht, weil ich im Inneren doch emotional belastet war und hatte Schwierigkeiten, das zu artikulieren.

00:53:53: Dann habe ich auch für mich entschieden, Diese Wichtigkeit, heute darüber zu sprechen, für mich ist heute die Hauptantriebsfeder, dass ich meine, dass dieses Mosaik-Steintchen, Böckwitz-Sichiri, so ein krasses Beispiel ist, was passieren kann, wenn demokratische Grundrechte von heute auf morgen dem Individuum entzogen werden.

00:54:22: Wenn man willkürlich dem Staat ausgeliefert ist.

00:54:27: Und das war in der DDR so.

00:54:29: Und das ist noch gar nicht so lange her.

00:54:32: Das können die sich heute die jungen Menschen gar nicht vorstellen, dass man seiner Freiheit so beraubt werden kann.

00:54:43: Wir sind jetzt schon gleich in der Dorfmitte.

00:54:48: In der Dorfmitte von Böckwitz oder von Sicherie?

00:54:51: Ja,

00:54:51: von

00:54:52: Sicherie.

00:54:54: Ja, jetzt sehe ich das auch.

00:54:56: Jetzt gucken wir schon.

00:54:58: Nach Böckwitz rein.

00:55:00: Wenn

00:55:00: wir hier stehen, wo war, an welcher Stelle stand das eigentliche Wohnhaus?

00:55:03: Ja, direkt an da, wo diese ...

00:55:08: Die Kürschlohbär-Häcker.

00:55:09: Kürschlohbär unter der Pfeiler ist, genau da.

00:55:12: Da ist ja auch diese Tafel eingebauert.

00:55:15: Ach da?

00:55:17: Genau, da hängt das.

00:55:18: Da stand das Haus.

00:55:20: Verstehe.

00:55:21: Und wie ist das, wenn du heute hierher kommst?

00:55:24: Ist das für dich schon auch ... Zu Hause oder

00:55:29: Heimat?

00:55:30: gefühlt habe ich schon.

00:55:31: Ich fühle mich hier mit diesem Fleckchen Erde verbunden.

00:55:35: Das kann ich so sagen.

00:55:38: Das ist der Stein, genau.

00:55:40: Jetzt will ich noch mal gucken, was steht da eigentlich?

00:55:42: Er richtet am zwölften Mai, den fünften von

00:55:48: Bauherrn

00:55:49: H. Bromann und dessen Ehefrau Wilhelmine Bromann geborene Friedrichs und unseren Ein- und Ausgangsregels.

00:55:59: Ach, okay.

00:56:02: Was ist

00:56:06: das für ein Gefühl, das hier an dem Haus der Tochter zu sehen?

00:56:10: Ja.

00:56:12: irgendwie

00:56:12: ein

00:56:12: beruhigendes Gefühl, dass es immer weitergeht im Leben.

00:56:33: Das war, als das grüne Band noch grau war.

00:56:37: Grenzgeschichten.

00:56:39: Eine Podcast-Reihe herausgegeben vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V Autorin Ines Kodatska Redaktionen Christine von Bose und Ines Kodatska.

00:56:50: Produktion Hard Worker Studios im

00:56:52: Lichthaus

00:56:53: Hallesahle Produktionsleitung Schnitt und Ton Julian Buch Komposition und Piano des Titeltracks Frieden, Julia Buch, Sprecher Peter Gudatska.

00:57:05: Die Podcastreihe ist Teil des Projekts Erinnerungskultur und Engagement am grünen Band, das aus Mitteln der Staatskanzlei und des Ministeriums für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt gefördert wird.

00:57:18: Die Interviews mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen entstanden mit finanzieller Unterstützung des Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Johannes Belaites.

00:57:29: Die verwendeten O-Töne von Personen der Zeitgeschichte hat das Bundesarchiv Berlin zur Verfügung

00:57:34: gestellt.

00:57:35: Alle Quellen wurden nach bestem Gewissen geprüft und gekennzeichnet.

00:57:39: Bei berechtigten Ansprüchen am in diesem Podcast veröffentlichten Material wird gebeten, sich an die Herausgeber zu wenden.

00:57:47: Titelbild – Collage von Nico Ludwig aus Böckwitz.

00:57:52: Die in den Show Notes beigefügten Fotos haben die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus ihren Privatarchiven zur Verfügung gestellt.

Kommentare (1)

Isolde W.

Sehr lebensecht! Bitte mehr davon.

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